Allais-Paradoxon
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Das Allais-Paradoxon
Das Allais-Paradoxon - bezeichnet nach dem französischen Ökonomen Maurice Allais, der v.a. für seine Arbeit aus dem Jahr 1953 später den Nobelpreis erhielt - schildert eine Situation, in der beobachtbares, auf den ersten Blick "ganz vernünftiges" Verhalten einer wie auch immer spezifizierten Erwartungsnutzenfunktion und somit den Axiomen der Nutzentheorie widerspricht. In der Spieltheorie werden diese Axiome auf Entscheidungsmatrizen (Payoffmatrix) angewendet, in denen der Nutzen einer Aktion bereits implizit mit einer (bekannten) Nutzenfunktion gemessen wurde.
Das Allais-Paradoxon ist ein Beweis dafür, dass sich Spieler in einem Spiel nicht immer rational verhalten, was jedoch in der Spieltheorie üblicherweise angenommen wird.
Das Experiment von Allais stellt ein frühes Beispiel für den Einsatz experimenteller Methoden zum Erkenntnisgewinn in den Wirtschaftswissenschaften dar und trug zur Entwicklung der Experimentellen Wirtschaftsforschung bei.
Aufbau des Experiments
Der Grundaufbau des Experiments besteht darin, dass Versuchspersonen zweimal hintereinander aus jeweils zwei Lotterien wählen:
Auswahl 1:
Das heißt: Man gewinnt 2500 Geldeinheiten (GE) mit 33 % Wahrscheinlichkeit, 2400 GE mit 66 % Wahrscheinlichkeit, mit 1 % Wahrscheinlichkeit geht man leer aus.
Dies bedeutet einen sicheren Gewinn von 2400 GE.
Es ist nicht nicht ganz offensichtlich, welches die bessere Wahl wäre, d.h. es gibt offensichtlich Raum für unterschiedliche Risikoeinstellungen. Das Maximin-Kriterium führt natürlich zu einer Präferenz von B über A, das Erwartungswertkriterium zu der umgekehrten Präferenz, da (für einen Preis des Loses von Null) gilt, dass E(A) = 2500 * 0,33 + 2400 * 0,66 + 0 * 0,01 = 2409 > E(B) = 2400 .
Auswahl 2
Dieselben Personen haben danach eine weitere Auswahl zu treffen:
,
also 2500 GE mit 33 % Wahrscheinlichkeit, ansonsten nichts.
,
also 2400 GE mit 34 % Wahrscheinlichkeit, ansonsten nichts.
Selbstverständlich sind beide Lotterien schlechter als A und B, beide haben aber einen positiven Erwartungswert. Konkret gilt folgendes für die erwarteten Auszahlungen der beiden Lotterien: E(A') = 2500 * 0,33 = 825 > E(B') = 2400 * 0,34 = 816 .
Die vier Lotterien in einer Tabelle zusammengefasst:
Wahrsch./Gewinn | Lotterie A | Lotterie B | Lotterie A' | Lotterie B' |
0,66 | 2400 | 2400 | 0 | 0 |
0,33 | 2500 | 2400 | 2500 | 2400 |
0,01 | 0 | 2400 | 0 | 2400 |
Die Entscheidungssituation zwischen A und B und die zwischen A' und B' unterscheidet sich nur dadurch, dass bei den ersteren eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Gewinn von 2400 besteht, die bei letzteren nicht besteht (über diese wird aber gar nicht entschieden, sie bildet nur das 'Umfeld'). Ansonsten sind die Situationen gleich. Nach dem Unabhängigkeitsaxiom sollte der Inhalt der ersten Zeile keinen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten haben.
Auswertung
Die Mehrzahl der Versuchspersonen wählt im Experiment B und A', haben also die Präferenzen A < B und A' > B'.
B > A bedeutet:
A' > B' bedeutet:
Diese beiden Gleichungen lassen sich umformen zu:
und
,
zwei sich widersprechenden Aussagen.
Anders gesagt: Ein rationales Individuum, der sich bei der Auswahl zwischen A und B für B entscheidet, muss sich bei der Wahl zwischen A' und B' für B' entscheiden. Die Tatsache, dass dies in Experimenten nicht notwendigerweise so ist, ist ein Verstoß gegen die Prämisse des Rationalverhaltens.
Erklärung
- Dieser Widerspruch lässt sich dadurch erklären, dass bei der ersten Entscheidung zwischen A und B die Wahrscheinlichkeiten im Vordergrund stehen, wobei sich diese bei der Entscheidung zwischen A' und B' kaum unterscheiden und die Gewinne als entscheidendes Kriterium verwendet werden.
- Rationalität ist daran gebunden, dass das Individuum, dessen Entscheidungen betrachtet werden, eine Situation völlig versteht – bzw. es der Mühe für wert erachtet, eine Situation völlig zu verstehen. Die Unterschiede zwischen jeweils zwei Lotterien A und B bzw. A' und B' sind vielleicht schlicht zu gering – oder die Entscheidung zu kompliziert –, um hier jeweils eine zwar mögliche, aber anstrengende genaue Bewertung vorzunehmen. Es entspricht jedenfalls der Alltagserfahrung, dass Entscheidungen zwischen zwei sehr engen Substituten oft zufällig, d.h. "ohne genaueres Nachdenken" getroffen werden. Ist dieses Nachdenken anstrengend – und der damit verbundene Aufwand größer als die bei nicht zufälliger Entscheidung zu erwartende Nutzengewinn – so ist diese Unschärfe bereits wieder rational.
- Der hier unterstellte Rationalitätsbegriff postuliert, dass unterschiedliche Entscheidungssituationen mit der jeweils gleichen Präferenzordnung entschieden werden. Dies ist zwar letztlich methodisch unumgänglich, da man sonst jedes Verhalten als mit Rationalverhalten kompatibel erklären könnte. Allerdings ist es durchaus denkbar, dass ein und das gleiche Individuum mit relativ geringen Beträgen in einem begrenzten Umfang risikofreudig agiert, während das Verhalten auf Risikoaversion schließen lässt, wenn es um höhere Beträge geht. Anders lässt sich beispielsweise nicht erklären, dass viele Leute mehr oder regelmäßig Lotto spielen, was nur mit Risikofreude konsistent ist, eine sogar mehr als faire Lotterie aber ablehnen würden, wenn dabei im schlechtesten Fall z.B. ihr Eigenheim verloren gehen könnte – also Risikoaversion an den Tag legen.