Wirtschaftswissenschaftler: Harsanyi
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Leben
Der ungarisch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler John Charles Harsanyi wurde am 29.5.1920 in Budapest geboren. Seine Eltern, beide jüdischstämmig, waren zum Katholizismus konvertiert. Deren Erwartungen entsprechend entschied sich Harsanyi im Jahr 1937, ein Pharmaziestudium zu beginnen.
Nach der Besetzung Ungarns durch die deutsche Armee im Jahr 1944 wurde Harsanyi in ein Arbeitslager gebracht. Kurz bevor er von Budapest aus in ein österreichisches Konzentrationslager deportiert werden sollte, gelang ihm die Flucht. In den folgenden Jahren verbarg er sich in einem Kloster. Zwei Jahre später setzte Harsanyi sein Studium fort und erhielt den Abschluss Ph.D. in Philosophie. Während seiner Arbeit an der Fakultät für Soziologie traf Harsanyi auf die Psychologiestudentin Anne Klauber, seine spätere Ehefrau.
Wegen Harsanyis öffentlicher Ablehnung der marxistischen Staatsideologie floh das Paar 1950 aus Ungarn über Österreich mit dem Ziel Australien. In Sydney führte Harsanyi sein Studium fort, wobei er seinen Studienschwerpunkt auf die Wirtschaftswissenschaften verlegte, in denen er 1954 seinen M.A. erhielt.
Während der zwei Jahre, die Harsanyi an der Universität Stanford verbrachte, studierte er u. a. Mathematik und Statistik. Dies war für seine spätere Arbeit im Bereich der Spieltheorie von großer Bedeutung. Sein Interesse für spieltheoretische Probleme wurde, wie er stets betonte, im Speziellen durch Veröffentlichungen John Nashs geweckt. Insbesondere dessen Artikel zu kooperativen und nichtkooperative Spielen, Zweipersonen-Verhandlungsspielen und sich ausschließenden optimalen Strategien in diesen, sowie zum Nash-Gleichgewichten beeindruckten ihn.
Harsanyi kehrte 1961 in die USA zurück: an der Wayne State University in Detroit erhielt er eine Professor für Wirtschaftswissenschaften. 1964 erreichte ihn ein Lehr- und Forschungsangebot der School of Business (heute: Haas School of Business) an der University of California in Berkeley, das er annahm.
In Berkley wurde Harsanyis Sohn Tom, sein einziges Kind, geboren.
Der an Alzheimer erkrankte John C. Harsanyi starb am 9. 8. 2000 Berkeley/Kalifornien.
Errungenschaften
- Im Jahr 1994 erhielt John Harsanyi zusammen mit John F. Nash und Reinhard Selten den Preis der schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel verliehen.
- 1956 zeigte er die mathematische Entsprechung von van Zeuthens und Nashs Verhandlungsmodellen; außerdem nannte er algebraische Kriterien, wie sich die einzelnen Spieler in kritischen Situationen (nutzen-)optimal verhalten.
- Im Jahr 1963 weitete er der Shapley-Wert auf Spiele ohne übertragbaren Nutzen aus. Sein Lösungskonzept präsentierte er als Verallgemeinerung sowohl des Shapley-Wertes als auch der Nash-Verhandlungslösung mit variablen Drohungen.
- Harsanyi zeigte, wie sich ein Spiel mit unvollständiger Information in eines mit vollständiger aber unvollkommener Information überführen lässt, damit die spieltheoretische Analyse darauf anwendbar wird.
- Er zeigte außerdem, dass „fast alle“ Nash-Gleichgewichte in gemischten Strategien als strikte Gleichgewichte in reinen Strategien uminterpretiert werden können, wenn man dazu passend gewählte Spiele mit zufällig schwankenden Auszahlungsfunktionen betrachtet.
- Harsanyi war Mitglied in mehreren bedeutenden Vereinigungen wie der National Academy of Sciences und der American Academy of Arts and Sciences, der Econometric Society, und der American Economic Association.
Beispiel für Harsanyis wissenschaftliche Arbeit
Betrachtung der Wohlfahrtsfunktion
Harsanyi beschäftigte sich sowohl mit dem Nutzen der Individuen als auch mit dem der gesamten Gesellschaft. Er benutzte für seine Überlegungen die 1938 durch Abram Bergson eingeführte Wohlfahrtsfunktion. Diese stellt einen Zusammenhang zwischen gesamtgesellschaftlichem Handeln und dem Gesamtnutzenniveau dar. Bezeichne Ui (x) den Nutzen, den Individuum i aus der Umsetzung der Alternative x zieht und sei n die Anzahl der Individuen. Dann bilden all diese Nutzenfunktionen die Komponenten der Wohlfahrtsfunktion, die dann den Nutzen einer Alternative für alle Individuen abbildet. Nach Bergson muss diese Funktion
- W(x) = (U1 (x), U2 (x), …, Un (x))
in jedem Argument monoton wachsend sein.
Harsanyi legte dar, dass sowohl Individuen als auch die gesamte Gesellschaft als rational im Sinne der Axiome von Neumanns und von Morgensterns angesehen werden sollten. Er fand heraus, dass die Wohlfahrtsfunktion eine Positivkombination der individuellen Nutzenfunktionen sein muss:
- W(u1, …, un) = ∑i (ci*ui) mit Ui (x) = ui und ci ∈ R, ci > 0 für alle i ∈ {1,…,n}.
Somit liegt W im positiven Kegel der einzelnen Nutzenfunktionen. Allerdings sind die individuellen Nutzenfunktionen nur bis auf positiv-lineare Transformation eindeutig bestimmt. Harsanyi zeigte, dass die Schwankungen in der Skalierung der individuellen Nutzenfunktionen durch eine entsprechende Abweichung in den Koeffizienten ci ausgeglichen werden kann.
Beweis der Nichtexistenz einer allgemeinen stetigen Lösungsfunktion für nichtkooperative Spiele
G bezeichnet hier sowohl ein n-Personen-Normalformenspiel als auch dessen Auszahlungsmatrix.
Definition: Eine Lösungsfunktion F meint eine mathematische Funktion, die jedem nichtkooperativen n-Personen-Normalformenspiel G genau einen Gleichgewichtspunkt s = (s1 , s2 , …, sn ) zuordnet: F(G) = s.
Fi* ist dementsprechend eine Funktion, die den einzelnen Spielern im Spiel G die Auszahlungen ui zuordnet, die diese erhalten, wenn der Gleichgewichtspunkt (die Lösung des Spiels) erreicht wird. Dann gilt ui = Ui (s) = Fi* (G)
Theorem
Es kann keine stetige, für alle nichtkooperativen Spiele definierte Lösungsfunktion F und auch keine solche Funktion für die individuellen Auszahlungen Fi* geben.
Beweis
durch Gegenbeispiel:
Man betrachte ein einparametrisches 3-Personenspiel G(x), mit 0 ≤ x ≤ 2.
- Spieler 1 hat die reinen Strategien A und B.
- Die restlichen zwei Spieler haben keinerlei Wahlmöglichkeiten. Ihr Handeln ist also deterministisch: Spieler 2 wählt sicher Y und Spieler 3 Z.
- Wenn sich Spieler 1 für die Alternative A entscheidet, so sei der Auszahlungsvektor U(A, Y, Z) = (1, 1, 0)
- Entscheidet sich 1 hingegen für B, so gelte U(B, Y, Z) = (x, 0, 1)
Dann ergeben sich in Abhängigkeit von x folgende Gleichgewichtspunkte für das Spiel G:
- 1) Ist x < 1, so ist S1 = (A, Y, Z) der einzige Gleichgewichtspunkt.
- 2) Ist x > 1, so ist S2 = (B, Y, Z) --"--
- 3) Ist x = 1, so stellen alle möglichen Strategiekombinationen Gleichgewichtspunkte des Spiels G dar.
All diese Gleichgewichtspunkte sind von der Form S*(p) = (M(p), Y, Z), wobei M(p) eine gemischte Strategie des 1. Spielers darstellt, der sich mit Wahrscheinlichkeit p für A und mit Wahrscheinlichkeit 1- p für B entscheidet (mit 0 ≤ p ≤ 1).
Jede mögliche Lösungsfunktion F für die Familie von Spielen G(x) hat an der Stelle x = 1 eine Unstetigkeitsstelle. Dies liegt daran, dass man sich bei x = 1 für genau eine der unendlich vielen Gleichgewichtspunkte des Spiels G(1) als Lösung entscheiden muss. Bei jeder solchen Wahl von F tritt eine Unstetigkeitsstelle bei x = 1 auf.
Nur für Spieler 1 ist dessen Auszahlungsfunktion stetig für alle x aus [0; 2], unabhängig von der gewählten Lösungsfunktion F.
Die Auszahlungsfunktionen der beiden anderen Spieler haben in x = 1 jeweils eine Sprungstelle und sind somit nicht (im gesamten Definitionsbereich) stetig: F2* und F3* springen in x = 1 von 1 zu 0 bzw. in die umgekehrte Richtung.
Also ist keine beliebig gewählte Auszahlungsfunktion F und die mit ihr einhergehenden Auszahlungsfunktionen Fi* für alle nichtkooperativen Spiele stetig. q.e.d
Veröffentlichungen
- John Harsanyi veröffentlichte 4 Bücher.
- In Rational Behavior and Bargaining Equilibrium in Games and Social Situations (1977), verfolgte er das Ziel, die Teilgebiete kooperative und nichtkooperative Spieltheorie zusammenzuführen, indem er die Verhandlungsmodelle der kooperativen Spiele auch für nicht-kooperative Spiele nutzte.
- Essays on Ethics, Social Behavior and Scientific Explanation (1976) und Papers in Game Theory (1982) stellen Sammlungen von Artikeln Harsanyis dar.
- Das Buch A General Theory of Equilibrium Selection in Games (1988) entstand in Zusammenarbeit mit Reinhard Selten.
Quellen
- Aumann1981
- Harsanyi1973
- Frängsmyr1995
- National Academy of Sciences2001